Transparente Interpretation einer faszinierend verwobenen musikalischen Textur
Das Kooperationsprojekt, bei dem Chöre und Orchester der Jenaer Philharmonie in Zusammenarbeit mit der Robert-Schumann-Philharmonie und dem Opernchor Chemnitz, dem Monteverdichor Würzburg, dem 1971 gegründeten Lemberger Knaben- und Männerchor Dudaryk und acht Solist*innen Gustav Mahlers VIII. Sinfonie zur Aufführung gebracht haben, ist mit erfüllenden Erlebnissen für alle Beteiligten zu Ende gegangen.
Für Chemnitz stellten die beiden Aufführungen am 6. und 7. März 2024 in der Stadthalle die erste Wiederaufnahme dieses Werkes seit 100 Jahren dar. In der Jenaer Sparkassenarena feierte die Jenaer Philharmonie mit dem abschließenden Konzert am 8. März 2024 ihr 90-jähiges Bestehen.
Das selten zu hörende Monumentalwerk, an dessen Realisierung durch die Vermittlung des VDKC auch einzelne erfahrene Sängerinnen und Sänger aus mehreren Bundesländern mitwirken durften, erhielt bei diesen Aufführungen eine besondere Einleitung im Rahmen des groß angelegten Jenaer Mahler-Scartazzini-Zyklus. Dieser Zyklus stellt jeder Mahler-Sinfonie eine Auftragskomposition des Jenaer Composer in Residence Andrea Lorenzo Scartazzini voran, die als Prologe ohne Überleitung attacca in die jeweilige Mahler-Sinfonie übergehen. Zugleich verstehen sich die zehn musikalisch hochverdichteten Momentaufnahmen des gebürtigen Schweizers als Teile eines auch in sich stimmigen fortlaufenden Werkes.
Die VIII. Sinfonie von Gustav Mahler spiegelt Scartazzini in seinem Prologstück „Anima“ (2024), welches das Publikum mit einer Vertonung des frühen Goethe-Gedichts „Gesang der Geister über den Wassern“ (1779) besonders auf den zweiten Teil der „Sinfonie der Tausend“ einstimmt. Mahler bindet in seinem Werk doch den frühmittelalterlichen, Hrabanus Maurus zugeschriebenen Pfingst-Hymnus „Komm, Schöpfer Geist“ („Veni creator spiritus“, um 800) mit der abschließenden Anachoretenszene aus Faust II (um 1830) zu einem grandiosen erzählerischen Gemälde zusammen, in dem die menschlichen Irrwege eines gottgegebenen Geistes letztlich in der unendlichen Liebe Gottes aufgefangen und zur Erlösung der Einzelseele geführt werden.
In der Vertonung des Faust II, um die Mahler über Jahre gerungen hatte, überführt der Komponist den an Dantes Paradiso erinnernde Szenen- und Figurenreichtum von Goethes Text geradezu plastisch in eine unfassbar verwobene musikalische Textur harmonischer und charakterlicher Perspektiv- und Stimmungswechsel. Die solistischen, instrumentalen und chorischen Akteur*innen dieses an Rhythmus- und Tempowechseln so überreichen Musikpanoramas zu einem Hörerlebnis zusammengebunden zu haben, das die Detailüberfrachtung Mahlerscher Sinfonik in immer wieder transparenten Passagen greifbar macht, war nicht allein das große Verdienst des Jenaer Chefdirigenten Simon Gaudenz, der die Gesamtproben und alle Aufführungen leitete. Gerade in der gemeinsamen Vorbereitung der verschiedenen (Laien-)Chöre und Sangesgäste ist auch die überaus präzise, lebendige und effektive Probenarbeit der musikalischen Assistentin Maria Benyomova hervorzuheben.
Die Basis zum Erfolg des mitteldeutschen Kooperationsprojektes bildeten neben den beiden Profiorchestern aus Jena und Chemnitz die Einstudierung der Chöre durch Berit Walther (Philharmonischer Chor und Madrigalkreis Jena sowie Knabenchor der Jenaer Philharmonie), Stefan Bilz (Opernchor der Theater Chemnitz), Matthias Beckert (Monteverdichor Würzburg) und Dmytro Katsal (Nationaler Akademischer Knaben- und Männerchor Lviv „Dudaryk“).
In den solistischen Partien wirkten Elisabeth Dopheide, Sopran 1 (Magna Peccatrix), Julia Sophie Wagner, Sopran 2 (Una Poenitentium), Akiho Tsujii, Sopran 3 (Mater Gloriosa), Marlen Bieber, Alt 1 (Mulier Samaritana), Evelyn Krahe, Alt 2 (Maria Aegyptiaca) und Alt-Solo in „Anima“, Corby Welch, Tenor (Doctor Marianus), Thomas Essl, Bariton (Pater Ecstaticus) und Martin-Jan Nijhof, Bass (Pater Profundus).
Dr. Cornelie Becker-Lamers
21.03.2024